Im zweiten Teil erfahrt ihr, wie Benedikt die Seelenverwandtschaft zu einem Menschen entdeckt und sich eine tiefe Freundschaft entwickelt.


Dem alten Benedikt war nicht entgangen, mit welcher Hingabe sein junger Freund sich um seinen Faxi kümmerte und er staunte, wie selbstverständlich, ja freudig das menschenscheue Tier die Pflege des fremden Kindes zuließ.  

Wenn er ehrlich in sich hineinhorchte, spürte er einen kleinen Stich der Eifersucht, den er jedoch sofort niederkämpfte. Dieser Junge, das fühlte er nur zu deutlich, würde alles tun, um seinem Faxi die Zeit der Trennung so angenehm wie möglich zu machen, und das war das Wichtigste.

So hatte er seinen vierbeinigen Freund denn auch jedes Jahr bei seiner Rückkehr bei bester Gesundheit vorgefunden und es schien ihm, als würde das Band zwischen dem Jungen und dem Pferd jährlich enger.

Man kann sich vorstellen, wie sehr es den kleinen Benedikt traf, als sein Namensvetter eines Tages ohne den Freund vor der Tür stand. Durch einen bösen Sturz hatte Faxi sich das rechte Vorderbein verletzt und der lange Weg nach Botn war ihm nicht mehr zuzumuten.

So musste Benedikt sich von nun an mit der Erinnerung an seinen Freund begnügen. Die Traurigkeit, die sich durch den Verlust auf seine Seele legte, vertraute er niemandem an.

Nur der alte Benedikt, der den Jungen lesen konnte wie ein Buch, wusste von seinem Kummer, ja spürte ihn nahezu selbst wie einen eigenen. Den kleinen Freund, vielleicht den einzigen, den er besaß, leiden zu sehen, zerriss ihm fast das Herz.

Deshalb brachte er zwei Jahre später einen jungen Hengst mit und schenkte ihn dem Jungen als Dank für seine treue Hilfe bei der Versorgung seiner Tiere. Dieser war überwältigt und sprachlos vor Glück.

Darüber hinaus spürte er, was dieses Geschenk bedeutete: Sein großer Freund schenkte ihm ein Tier, das er liebte – was für ein Vertrauensbeweis! Seine Gefühle konnte er nicht in Worte fassen und so beließ er es bei einer stummen Umarmung und dem knappen Satz: „Er erinnert mich an meinen alten, so weit entfernten Freund, deshalb soll er Faxi heißen.“

Nun gab es also einen alten und einen jungen Benedikt sowie einen alten und einen jungen Faxi .


Die Jahre zogen vorbei und in der Vorweihnachtszeit  lief alles in gewohnten Bahnen. Bei der gemeinsamen Arbeit im Stall konnte Benedikt den Jungen und seinen Faxi beobachten und das Herz ging ihm dabei auf:

Aus dem kleinen Fohlen war dank der Fürsorge des Jungen ein kräftiger Hengst geworden und die Verbundenheit zwischen diesem und seinem jungen Herrn war so deutlich, dass das Glück der beiden, trotz Benedikts  Erschöpfung von der Reise, wie ein Funke auf ihn übersprang und ihm neue Kraft für die bevorstehende Aufgabe gab.

Bereits im ersten Jahr nach seiner Ankunft mit dem Pferd war es ihm durch den Kopf geschossen: „Eigentlich habe ich nicht meinen kleinen Freund, sondern mich selbst beschenkt. Es gibt kein größeres Glück, als einen anderen Menschen glücklich zu machen!“

Im vergangenen Jahr hätte Benedikts vorweihnachtliche Suche nach den Schafen fast ein tödliches Ende gefunden.

Damals hatte der Winter mit so außergewöhnlicher Härte zugeschlagen, dass schon die Wanderung durch die bewohnten Gebiete eine nahezu unmenschliche Strapaze gewesen war. Jeder wohlmeinende Mensch, dessen Weg Benedikt kreuzte, hatte ihn inständig gebeten, er möge doch in diesem Jahr von seinem Plan absehen.

Nur ein unverschämter Nachbar hatte tatsächlich am Abend vor dem Abmarsch ins Hochgebirge an Péturs Tür geklopft und Benedikt darum gebeten, zusätzlich auch nach seinen fehlenden Schafen zu suchen, ohne Rücksicht darauf, dass dies die Zeit in der mörderisch wütenden Natur verlängern und die ohnehin schon unvernünftige Mission zu einem tödlichen Abenteuer zu machen drohte.

Aber Benedikt wäre nicht Benedikt, wenn er die Rettung der Schafe aus Furcht um das eigene Leben ausgeschlagen hätte.

Doch diese Reise sollte, das wisst ihr bereits, tatsächlich zum Kampf um Leben und Tod werden, denn die Schneestürme tobten im Gebirge noch viel heftiger, als man es im Tal hatte absehen können.

Die Reise hatte sich unter diesen Bedingungen, vor allem aber auch durch die zusätzlich zu suchenden Schafe, tatsächlich erheblich verlängert. Benedikt verbrachte den Heiligen Abend und auch die Feiertage in seinem Erdloch unter dem Schnee, nahezu ohne etwas Essbares, halb erfroren und vollkommen entkräftet.

Seinen Eitill  hatte er draußen im Sturm lassen müssen, damit er über die gefundenen Schafe wachte. Und schließlich hatte er am nächsten Morgen aufgeben und sich allein auf den Weg ins Tal machen müssen. Alles, wofür die Kraft gereicht hatte, war, Eitill und die Herde ein Stück näher ans Tal zu führen in der Hoffnung, dass sie jemand finden möge.

Bei seinem Abstieg hatte ihn nicht die Angst um sein Leben, sondern die Frage gequält, wer sich in Zukunft um all die Schafe kümmern würde, die in den Bergen blieben, da er es wohl nicht mehr konnte.

Doch das Wunder der Weihnacht hatte sich auch in diesen scheinbar von Gott verlassenen Winkel der Welt erfüllt:

Benedikt hatte es, mehr tot als lebendig, ins Tal geschafft und bei Pétur und Sigríður angeklopft. Deren Ältester war nicht daheim. Dieser hatte, wie er erfuhr, eine Gruppe von Freunden zusammengetrommelt und sich auf die Suche gemacht, nachdem sein alter Freund weit über die Zeit im Gebirge geblieben war. Die Jugendlichen fanden zwar nicht ihn, dafür aber Eitill und die von ihm tapfer zusammengehaltene Herde und brachten sie sicher ins Tal zurück.

Ein Jahr hatte Benedikt nun Zeit gehabt, um darüber nachzudenken, wie es weitergehen sollte. „Ich bin zu alt und den drohenden Gefahren nicht mehr gewachsen“, musste er sich eingestehen, und ihm war klar, dass er auch seinen vierbeinigen Gefährten gegenüber eine Verantwortung hatte, die ihm verbot, einfach so weiterzumachen wie bisher. Doch mit dem Gedanken, die zurückgebliebenen Schafe im Hochgebirge ihrem Schicksal zu überlassen, konnte er sich nicht abfinden.

So traf er, als die Zeit gekommen war, wie gewohnt seine Reisevorbereitungen und machte sich am ersten Advent auf den Weg, als wäre nichts geschehen.

In diesem Jahr war alles anders. Ein außergewöhnlich milder Winter mit Sonnenschein, blauem Himmel und weiter Sicht auf eine funkelnde  Schneelandschaft schienen ihn für die Schrecken des letzten Jahres entschädigen zu wollen.

Benedikt konnte sich Zeit für ein Schwätzchen mit den Bauern am Wegesrand nehmen, denn er kam gut voran, so gut, dass er früher als sonst in Botn eintraf und noch niemand mit ihm rechnete. Wenn er dieses Mal auch an die Tür klopfen musste, war das Wiedersehen nicht minder herzlich. Alles andere folgte den üblichen Ritualen.

Im Stall versorgten die Freunde die Tiere und der Alte beobachtete voller Rührung die Nähe zwischen Faxi und seinem Herrn, aus dem im vergangenen Jahr ein richtiger Mann geworden war.

„Ich bin kein Mann der großen Worte“, brach der Alte schließlich die friedliche Stille, „aber  seit einem Jahr quält mich die Frage, wer sich in Zukunft um die Schafe im Gebirge kümmern soll. Ich bin alt und kann es bald nicht mehr.

Mein Freund, ich sage es dir rundheraus: Du bist der einzige, den ich mir als meinen Nachfolger vorstellen kann. Du bist jung, gesund und kräftig und du kennst die Berge fast so gut wie ich. Aber vor allem liebst du jedes einzelne Tier in einer Weise, wie ich es von niemandem sonst kenne. Ich glaube, es ist deine  Bestimmung in dieser Welt, meine Aufgabe fortzuführen.“

„Schau auf das Wetter in diesen  Advent“,  fuhr er fort, „es scheint meine Gedanken zu begrüßen. Es ist so mild und klar wie sonst nie zu dieser Jahreszeit und wie gemacht dafür, dich auf diese Aufgabe vorzubereiten. Lass uns gemeinsam aufbrechen und ich zeige dir die Verstecke der Schafe und die Plätze, wo du ausruhen und Kraft schöpfen kannst.“

Auf dem kleinen Video unten von María Gísladóttir seht ihr, wie das Bild Vinátta (auf Deutsch Freundschaft) entsteht. 

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