“Die Kinder haben noch nicht einmal einen Baum zum Klettern”, sagte die Mutter, “Das ist nicht gut für sie. Wir müssen fort aus der Stadt und aufs Land ziehen.”
So geschah es:
1969 zogen wir also auf einen alten Bauernhof mit vielen wundervollen Apfelbäumen. Er befand sich im Staate New York. Ein kleiner Bach schlängelte sich in unmittelbarer Nähe friedlich durch das Land.
Unser Nachbar von gegenüber verbrachte die meiste Zeit des Tages vor seinem Haus und „bewachte“ einen kleinen Gemüsestand, den es vor sich aufgebaut hatte. Gleichzeitig beobachtete er ein wenig misstrauisch, was auf der anderen Seite des Straße auf unserer Farm vor sich ging.
Unsere Kinder liebten das Land. Stundenlang verschwanden sie mit dem Hund im Wald, kletterten in den Apfelbäumen und plantschten im Bach herum. Der Fernsehapparat war den ganzen Sommer über ausgeschaltet.
An einem schönen Sommertag galoppierten plötzlich zwei Pferde ohne Reiter hinter unserm Haus fröhlich zwischen den Apfelbäumen herum. Ich fragte meinen Freund, den Bauern von gegenüber:
“Herr W., wem gehören diese Pferde und warum sind sie hier?”
“Ich weiß, wem sie gehören”, erwiderte er, ”sie sind ausgerissen und niemand kann sie einfangen.”
“Ich möchte es doch versuchen”, gab ich zurück. Mein Nachbar schaute mich an und konnte sich ein Lachen kaum verkneifen.
“Du, ein Stadtmensch, noch dazu ein Ingenieur, willst die Pferde einfangen?”, schmunzelte er.
“Ja, gewiss”, antwortete ich und ging zurück zu meiner Familie.
“Kinder”, rief ich, “springt schnell ins Auto (ein Volkswagen Microbus), wir wollen die Pferde einfangen.”
Unsere vier Kinder waren sofort Feuer und Flamme für dieses Abenteuer. Der VW holperte über Stock und Stein, doch schließlich fanden wir die Tiere ein wenig versteckt, gar nicht weit entfernt von unserer Farm. Ich stoppte in Hörweite und stieg aus dem Wagen. “Gebt acht, Kinder, jetzt will ich versuchen sie einzufangen.”
Ich näherte ich mich langsam, mit ausgestreckten Armen und pfeifend den Tieren – genau wie Nonni es in den Büchern Sonnentage, Auf Skipalon, und Ein Ritt durch Island beschrieben hatte, die ich in Kindertagen verschlungen hatte.
Das erste Pferd stand still und spitzte die Ohren, während ich mich vorsichtig näherte. Es hatte noch den Zügel um den Hals, den ich leicht fassen konnte. Nun hatte ich tatsächlich ein Pferd eingefangen, aber das andere lief davon. Das eingefangene Tier folgte mir willig nach Hause, wo ich es anband und mit Wasser versorgte. Dann holte ich mit den Kindern den VW und fuhr zum Haus zurück.
“Können wir das Pferd behalten?”, bettelten sie mich, “du hast es doch selbst gefangen.”
“Nein, das geht nicht, das Tier gehört ja jemandem, und wir müssen es dem Besitzer zurückgeben”, machte ich meinen Kleinen klar.
Nun ging ich zu meinem Freund, dem Bauern von gegenüber. Er hatte wie immer alles beobachtet und seine Verblüffung stand ihm ins Gesicht geschrieben.
“Können Sie bitte den Besitzer anrufen und ihm melden, dass ich eines seiner Pferde eingefangen habe?”, bat ich ihn, denn zur damaligen Zeit hatten wir noch kein Telefon.
“Ja, kein Problem”, versprach er, während er mich anschaute, als sei ich ein Zauberer.
“Was glauben Sie, wo das zweite Pferd hingelaufen ist?”, fragte ich.
“Es ist ganz gewiss nach Hause gelaufen, weil du seinen Gefährten eingefangen hast, ist es sicher nicht allein in der Fremde geblieben.”
Ich bedankte mich und kehrte zu meiner Farm zurück. Mein Nachbar blieb vor seinem Haus stehen, kratzte sich nachdenklich am Kopf und fragte sich wahrscheinlich noch immer: “Wie hat der das fertig gebracht? Einer aus der Stadt, noch dazu Ingenieur, einer, der nur theoretisches Zeug aus Büchern lernt?”
Ich verriet ihm nicht, dass ich es von Nonni gelernt habe. In Amerika kennt man ja die Nonni-Bücher gar nicht, weil die meisten noch nicht auf Englisch zu haben sind.
Später holte der Besitzer sein Pferd ab.
Dieses ist eine wahre Geschichte aus dem Jahre 1969.
Vielen Dank, Nonni!
Happy 160th Birthday, 16 November, 2017
We
ndell Neugebauer, 18 April, 2017
Ballston Spa, NY 12020
4 Responses
Eine tolle und noch dazu WAHRE Geschichte!
Genau so toll ist, dass diese wahre Geschichte auch auf Englisch existiert.
Im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist offenbar wirklich nichts unmöglich! 🙂
Aber bitte holt den Hinweis auf die englische Version noch nach. Danke!
Hallo Friederika,
schön, dass dir die Geschichte gefallen hat. Ein Hinweis auf die englischen Version ist nicht nötig, da man einfach die Sprache (siehe Fahnen oben rechts) umstellen kann.
VG
Kristín
Wendell Neugebauer hat Recht, wenn er schreibt, dass die Nonni-Bücher in USA leider unbekannt sind, weil die meisten noch nicht ins Englische übertragen wurden. Aber einige gibt es doch, und die will ich gerne hier aufzählen:
– Lost in the Arctic. Adventures of Two Boys. P. J. Kenedy & Sons, New York 1927. Übersetzung des Original-Titels „Nonni und Manni. Zwei isländische Knaben“. Josef Habbel, Regensburg 1914.
– Nonni & Manni. Lost in the Arctic. P. J. Kenedy & Sons, New York 1958. Übersetzung von „Nonni und Manni. Zwei isländische Knaben“. Josef Habbel, Regensburg 1953.
– Lost in the Fjord. The Adventures of Two Icelandic Boys. Chaos to Order Publishing, San José California 2013. Neue Übersetzung des Titels „Nonni und Manni. Zwei isländische Knaben“. Josef Habbel, Regensburg 1953.
– A Journey Across Iceland. The Ministry of Rev. Jón Sveinsson S.J. Chaos to Order Publishing, San José California 2014. Erste Veröffentlichung in Buchform von Jón Sveinsson’s eigenen Reisenotizen auf Dänisch „Reiseerindringer fra Island fra Sommeren 1894“. Museum 4 – der Name des Übersetzers ist unbekannt.
– „At Skipalon“ – „Sunny Days“. Two bestsellers in one book. Nonnahús 2002. Übersetzung der Original-Titel „Auf Skipalón“. Herder, Freiburg im Breisgau 1928, und „Sonnentage“. Herder Freiburg im Breisgau 1915.
Ich wünsche gute Unterhaltung! 🙂
Nachtrag!
Jón Svenssons letztes Buch heißt „Nonnis Reise um die Welt“ und es besteht aus zwei Bänden. Sie tragen den Titel „Nonni in Amerika“ und „Nonni in Japan“. Da ich finde, dass zumindest „Nonni in Amerika“ unbedingt US-amerikanischen Lesern auf Englisch zur Verfügung stehen müsste und da ich „gelernte“ Übersetzerin für Englisch bin, habe ich beschlossen, dieses vorletzte Nonni-Buch ins Englische zu übertragen. Da aber heutzutage eigentlich nur Muttersprachlern gute Übersetzungen in eine fremde Sprache zugetraut werden (im Grunde zu Recht!), bin ich durch Fügung und über Nonni (!) mit einer Amerikanerin in Kontakt gekommen, die „meinen“ Nonni auch sehr schätzt und die sich angeboten hat, am Schluss meine Übersetzung zu überarbeiten. Welch ein Glück! Danach hoffen wir, einen Verlag zu finden, der „Nonni in America“ publiziert. Zu der oben aufgeführten Liste wird dann „demnächst“ ein weiteres Nonni-Buch hinzugefügt – so Gott will. *lächel*. Inzwischen bin ich bei Kapitel 31 angekommen – von insgesamt 56….