Eine wahre Geschichte über die glückliche Zusammenführung von einem Waisenfohlen und einer Ammenstute.
Diese Geschichte gibt es auch als Podcast
Eine Mutterstute mit Fohlen bei Fuß, solch ein Bild ist im Frühjahr selbstverständlich und löst bei dem Betrachter meist Entzückensrufe aus.
Für das Hengstfohlen, um das es in dieser Geschichte geht, ist die Situation jedoch alles andere als normal, auch wenn es auf den ersten Blick keinerlei Anzeichen dafür gibt. Die Stute, die ihn säugt, hat dieselbe Farbe wie er und dass sie nicht seine leibliche Mutter, ja noch nicht einmal näher mit ihm verwandt ist, würde niemand vermuten.
Am fünften Juni kam der kleine Hengst auf die Welt, der Storch stand noch neben ihm auf der Weide, als wir ihn begrüßen durften. Er war ein Pfingstfohlen.
Seine Mama war eine alte und sehr erfahrene Zuchtstute, sein Papa unser selbstgezogener Elitehengst. Der Kleine war ein schickes Fohlen, Fuchsschecke, der seinem Vater sehr ähnlich sah, als dieser im selben Alter gewesen war.
Er war schon sehr groß, als er auf die Welt kam, und er entwickelte sich prächtig. Am liebsten spielte er mit seinem Halbbruder. Wie die großen Hengste tobten sie auf der Weide herum.
Er war mit seinen vier Wochen bereits sehr selbstständig und neugierig. Ein Vollgeschwisterchen war auf dem Weg, seine Mutter war wieder tragend.
Und dann kam der Tag, an dem sich alles änderte. Seiner Mama ging es plötzlich schlecht. Wir holten sie und den Kleinen sofort herein.
Am Abend verschlechterte sich ihr Zustand dramatisch, so dass er nicht mehr bei ihr trinken konnte. Die Stute konnte nur noch liegen und war zu schwach zum Aufstehen.
Dann fing sie sich wieder ein wenig. Konnten wir hoffen?
Aber sie durfte nicht mehr gesund werden. Mit der Unterstützung des Tierarztes kämpften wir zwei Tage und zwei Nächte um ihr Leben, doch am Ende hatte sie keine Kraft mehr, um bei uns zu bleiben.
Der Kleine vermisste seine Mama – und vor allem hatte er Hunger! Zum Glück war er für sein Alter schon so kräftig!
Was nun? Wir brachten ihn zu unseren anderen Zuchtstuten. Die hatten alle ein Fohlen bei Fuß.
Sie waren jedoch von einem weiteren Quälgeist wenig begeistert und wehrten ihn permanent ab. – Der Kleine war noch zu jung, um alleine zu überleben, er suchte Kontakt bei uns oder einer alten fohlenlosen Stute, die wir ihm als Mama-Ersatz hinstellten.
Er versuchte auch sofort verzweifelt an ihr zu saugen, aber da kam natürlich nichts. Deshalb bekam er von uns Fohlenersatzmilch, verschluckte sich beim Trinken jedoch regelmäßig, sodass wir Angst hatten, er würde eine Lungenentzündung bekommen.
Parallel suchten wir im Internet nach Ammenstuten, es fand sich jedoch zunächst keine potentielle Mutter. Bis eines Abends endlich ein Anruf kam!
Über eine Bekannte hatte jemand von unserer Suche erfahren, dessen Stute am Morgen eine Zwillingstotgeburt gehabt hatte – eine traumatische Erfahrung für das Tier.
Vielleicht würde die trauernde Mutterstute unser Fohlen akzeptieren?
Die Besitzerin bot uns an das Fohlen zu ihr zu bringen.
Noch am selben Abend fuhren wir mit dem Kleinen und einem Begleitpferd zu ihr. – Würde sich die Fahrt lohnen, oder war es nur ein weiterer Stressfaktor für unser Waisenkind?
Die Stute war sehr aufgeregt. Sie hatte gerade ihre Fohlen verloren – und unser Fohlen war deutlich älter, schon vier Wochen alt. Andererseits war es auch eine enorme Chance für beide!
Wenn es klappen sollte, würde unser Kleiner die Möglichkeit bekommen auf natürliche Weise von einer Mutter aufgezogen zu werden, und die Stute würde so vielleicht ihren Verlust besser überwinden können.
Die Zusammenführung von Waisenfohlen und Ammenstute muss nicht sofort funktionieren, es braucht viel Geduld, und das Ende ist offen.
Der unterschiedliche Stallgeruch kann dazu führen, dass die Mutter das fremde Fohlen nicht annimmt.
So versuchten wir den Geruch zu überdecken, indem wir stark riechende Öle an die Nüstern der Stute und auf den Rücken des Fohlen träufelten.
Dennoch durfte der Kleine vorerst nur trinken, wenn die Stute festgehalten wurde. Ein tolles Team auf dem Hof übernahm den Job, dafür zu sorgen, dass er regelmäßig trinken durfte.
Fohlen brauchen spätestens alle zwei Stunden Milch. Wenn sie älter sind, können die Abstände auch etwas vergrößert werden, was vor allem nachts für die menschlichen Helfer eine große Erleichterung ist.
Es ist wichtig, dass man nicht zu schnell aufgibt, wenn die Ammenstute das Ziehkind zunächst abwehrt und vertreiben will.
Zu unserem großen Glück mussten wir nicht allzu lange warten und die beiden gewöhnten sich tatsächlich aneinander. Nach 2 Tagen musste man die Stute nicht mehr festhalten, damit der Kleine trinken konnte, und schon nach 3 Tagen durfte er sogar, zur Erleichterung aller, ganz alleine trinken!
Mittlerweile sind die beiden zu einer kleinen Patchworkfamilie zusammengewachsen, Fremde würden nie vermuten, dass Stute und Fohlen nicht verwandt sind.
Der Kleine hat eine wunderbare Ersatzmama gefunden. – Vielleicht war es Schicksal? Denn es gibt einige Ähnlichkeiten: Seine leibliche Mutter und seine Ziehmama hatten dieselbe Farbe. Eines ihrer verstorbenes Fohlen war gescheckt – so wie ihr neues, angenommenes Fohlen.
Die verstorbene Mama unseres Sorgenkinds war eine großartige Stute, elf Fohlen hatte sie vor ihm bereits das Leben geschenkt. Sie war gutmütig, liebevoll und geduldig.
Sie hatte bis zuletzt, bis sie nicht mehr weiterleben konnte, alle Energie in ihr jüngstes Fohlen gesteckt. Sie war eines der wenigen Pferde, vor das ich mich immer flach auf den Boden legen konnte, da ich wusste, dass sie nie auf mich treten würde.
Wie wir es ihr versprochen haben, passen wir auf ihren kleinen Sohn auf. Und wir werden sie nie vergessen.Wenn ich den kleinen Hengst mit seiner neuen Mama sehe, dann weiß ich, dass es sich lohnt die Mühe auf sich zu nehmen.
Gwendolyn Simper