Die folgende Geschichte berichtet davon, wie ein Mann mit seinem Pferd in Not geriet und in letzter Minute die grausame Entscheidung nicht ausführen musste, zu der er sich als Tierfreund verpflichtet gefühlt hatte.
Ich hatte lange Zeit einen Fuchsfarbwechsler als Reitpferd. Er stammte aus Süd-Island (Öræfasveit) und hatte eine gute Aufzucht genossen. Sein Name war Litfari. Ich habe ihn 1872 bekommen, als er fünf Jahre alt war und ihn im Herbst 1885 töten müssen, da er zu dieser Zeit schwerathmig wurde und ich ihn im folgenden Winter nicht so gut hätte versorgen können, wie er es verdiente.
Litfari war von durchschnittlicher Größe, etwas kräftig und stablil, aber schön gebaut. Bis zu seinem Tod verfügte er über einen guten Gehwillen ohne dabei eilig nach vorne zu stürmen, er war weich zu sitzen und ziemlich schnell im Pass. Vor allem aber war er zuverlässig, sehr trittsicher und ein guter Schwimmer.
Er hatte auch einen „Schwimmwirbel“ (isl. sundfjöður) auf beiden Seiten des Halses. Auch verfügte er über einen guten Orientierungsinn. Deshalb habe ich, solange er lebte, nie eine Wegbegleitung gebraucht, wenn ich in dunklen Nächten oder in Schneeschauern unterwegs war.
Einmal befand ich mich nachts im Schneesturm auf dem Weg nach Hause. Es war so dunkel, dass man kaum die Hand vor Augen sehen konnte. Aber da relativ wenig Schnee liegen geblieben war, konnte ich recht zügig nach Hause reiten. Ich wusste kaum, wo ich war, als Litfari plötzlich anhielt und nicht weitergehen wollte und dies, obwohl ich ihn ohne nachzudenken weitertrieb.
Doch dann entschied ich mich dafür, ihm die Zügel und die Entscheidung über den Weg zu überlassen. Er drehte sofort um und lief direkt gegen die Windrichtung in die Schneeverwehung, bis er nach einer Weile direkt vor seiner Stalltüre anhielt, wo ich normalerweise immer absattelte.
Das war nicht das erste Mal, dass er mir in Schneestürmen, bei Dunkelheit oder beim Durchqueren von Flüssen das Leben gerettet hat, indem er die Führung übernahm.
Ein anderes Mal war ich wieder im Winter unterwegs auf dem Weg nach Hause. Es war recht kalt, aber der Mond schien hell und man konnte daher gut reiten.
Ich ritt durch ein gefrorenes Moorgebiet, als plötzlich das Eis unter Litfari brach und er in einem Moorsumpf versank. Irgendwie gelang es mir mich von ihm zu trennen, er aber sank so tief, dass bald nur noch sein Kopf herausschaute.
Das Sumpfloch war rund und sehr eng, auch war die Öffnung so stark gefroren, dass ich sie kaum erweitern konnte. Aber mit großer Mühe konnte ich zumindest den Sattelgurt durchschneiden und den Sattel abnehmen.
Fast eine Stunde saß ich bei Litfari, zog mit den Zügel in alle Richtungen und klopfte ihm mit der Peitsche an den Mähnenkamm, damit er sich anstrengte sich zu befreien, aber ohne Erfolg. Er bewegte sich nicht im Geringsten.
Es war relativ weit zum nächsten Hof und obwohl ich mir durchaus zutraute ihn zu finden, versprach ich mir davon keinen Erfolg, denn ich war mir nicht sicher, ob ich den Moorsumpf mit Litfari wiederfinden würde.
Daher setzte ich keine Hoffnung in den Gedanken ihn zu retten, indem ich versuchte Hilfe zu holen. Doch ich wollte mein Pferd unter keinen Umständen lebend im Sumpf zurücklassen, damit es in der eisigen Kälte jämmerlich erfror.
Deshalb entschloss ich mich schweren Herzens ihn mit meinem Taschenmesser zu töten, bevor ich ihn verließ.
Ich hatte immer einen Schleifstein bei mir und begann das Messer zu schärfen. Ab und zu schaute ich zu ihm hinüber. Litfari schaute mich mit dem erbarmungswürdigstenen Blick an, den man sich nur vorstellen kann.
Es schien mir, als hätte er verstanden, was ich vorhatte. Als ich das Messer geschärft hatte, versuchte ich es ein letztes Mal mit den Zügeln. Und tatsächlich kam plötzlich Bewegung in ihn und er sprang, scheinbar ohne viel Anstrengung, aus dem Sumpf.
Ich glaube, auf unserem Heimweg waren wir so schnell, wie wir es weder vorher noch danach jemals gewesen sind, aber mein Freund musste sich nach diesem Abendteuer schnellstens aufwärmen.
Eggert Ó. Brím
Originaltitel: Um „Litfara“ og „Löpp„, Dýravinurinn, 3. Jahrgang 1889, 3. Heft, Seite 30-31
Die Geschichte ist möglichst textgenau aus dem Isländischen übertragen worden, um ihren Charakter nicht zu verändern.