Die unglaubliche Geschichte einer Zwillingsgeburt in Schneesturm auf Island im Jahre 1805 und wie eins der Zwillinge das Leben seines Bruders rettet.
Zwei Pferde meines Großvaters Vigfús Ormsson hießen Hreppur und Stjóri. Mit diesen ungewöhnlichen Namen hat es eine besondere Bewandtnis:
Die Geschichte, wie es zu den Namen gekommen ist, hat sich im Jahr 1805 zugetragen, als mein Großvater seinen Dienst als Pfarrer auf Valþjófsstaður in Ost-Island verrichtete.
Im Frühjahr dieses Jahres gab es einen gewaltigen Schneesturm. Als er sich endlich gelegt hatte, bemerkte er, dass eine trächtige Zuchtstute aus der Herde fehlte.
Es war ausgerechnet die Lieblingsstute meines Großvaters! Jeder glaubte, dass sie im Sturm umgekommen sei.
Doch durch Zufall fand der Bürgermeister (isl. hreppstjóri) der Region sie lebend mit zwei Fohlen bei Fuß. Die Stute muss tatsächlich im Schneesturm Zwillinge zur Welt gebracht haben!
Mein Großvater war sehr glücklich darüber. Zum Glück gab es bei ihm auch dieses Jahr keinen Mangel an Heu, so stallte er die Stute sofort auf und fütterte sie gut, damit sie genug Milch für die beiden Fohlen hatte.
Als Erinnerung an das denkwürdige Ereignis benannte er die Fohlen nach dem Bürgermeister Hreppur (Kreis) und Stjóri (Beamter).
Die Fohlen wuchsen zusammen auf und waren derart aufeinander fixiert, dass weder Stall noch Strick sie halten konnte, wenn man versuchte sie zu trennen.
Als meine Mutter fünfzehn oder sechzehn Jahre alt war, durfte sie mit den Mägden in die Berge gehen, um bei der Ernte von Islandmoos zu helfen.
Ein Melker meines Großvaters begleitete die Frauen. Seine Aufgabe war es beim Beladen der Pferde, die das Moos nach Hause transportieren mussten, mit anzupacken.
Meist wurde in den hellen Nächten oder frühen Morgenstunden gearbeitet. Da die Lese weit entfernt von den Höfen stattfand, ruhte man in Zelten.
Eines Vormittags, nachdem alle von der Arbeit zurückgekehrt und eingeschlafen waren, kam Hreppur bis ans Zelt und wieherte laut. Der Arbeiter erwachte und versuchte das Pferd wegzutreiben, aber das nutzte nichts. Hreppur ließ sich nicht verscheuchen.
Meine Mutter schlief fest, wie junge Menschen es oft tun, wenn sie sehr müde sind. Schließlich erwachte sie jedoch und als sie hörte, was los war, wusste sie, dass etwas nicht stimmte. Sie befahl dem Mann dem Pferd zu folgen.
Der Kerl war jedoch gar nicht begeistert und beschwerte sich lautstark, da er sehr müde war und schlafen wollte. Endlich gab er nach und folgte dem Pferd. Als dieses bemerkte, dass der Mann sich in Bewegung setzte, lief es voraus, schaute sich aber immer wieder um und wieherte, als wolle es ihn auffordern etwas schneller zu gehen.
Zum Schluss rannte Hreppur los und blieb schließlich an einer Stelle in der Ebene stehen. Dort wieherte er freundlich zum Boden hin. Als der Mann ankam, sah er, dass Stjóri in einem großen Loch stand. Der Boden muss nachgegeben haben, weil Wasser die Erde unterirdisch weggetragen hatte.
Der Mann holte die Frauen und brachte auch Seile mit. Dann zogen sie Stjóri gemeinsam aus dem Loch.
Meine Mutter erzählte, dass die beiden sich nach der Rettung so freudig begrüßt haben, wie man sich begrüßt, wenn man gerade dem Tod ein Schnippchen geschlagen hat.
Originaltitel: „Hreppur og Stjóri“ aus der Zeitschrift Dýravinurinn, 3. Jahrgang 1889, Seite 41.
Die Geschichte ist möglichst textgenau aus dem Isländischen übertragen worden, um ihren Charakter nicht zu verändern.