Freundschaften unter Pferden äußern sich auf verschiedene Art und Weise. Hekla Hattenberger Hermundsdóttir hatte die Möglichkeit einen unglaublichen Moment zwischen zwei Stuten zu beobachten und berichtete uns davon.


Das außergewöhnlichste Erlebnis, an das ich mich erinnere, hatte ich mit einem Pferd, dass ich nicht einmal selbst besaß. Ich lebte damals noch auf Island.
Die Stute hieß Lukka frá Víðihlíð, eine tolle, wunderschöne dunkelbraune Scheckstute! Die Tochter der Besitzer kam nur zwei oder dreimal im Jahr, um sie zu besuchen, ansonsten versorgte ich sie und beschäftigte mich mit ihr.

Als Lukka zwei Jahre alt war,  hatte sie eine Freundin in der Herde, Stjörnudís frá Ægissíðu, die knapp 5 Jahre alt und trächtig war. Die Besitzerin von Stjörnudís und ich fieberten der Geburt entgegen, wir wollten sie unbedingt miterleben.

Deshalb haben wir die Herde schon einige Wochen vorher an uns gewöhnt und viele schlaflose Nächte mit den Stuten auf der Weide verbracht, bis sie es normal fanden, dass wir in ihrer Nähe waren.

Es war dann tatsächlich die Nacht nach der Eurovision 2011 mit dem isländischen Beitrag Vinir Sjonna, als es endlich soweit war.

Stjörnudís wurde sehr unruhig und wir bezogen unseren Beobachtungsposten, wo wir nah genug dran waren, um alles genau zu sehen, ohne die Stute zu stören.

– Eine Geburt ist immer eine Grenzerfahrung, aber was wir hier miterleben sollten, überstieg alles, was wir uns vorstellen konnten. Als der Geburtsvorgang einsetzte, wich Lukka  Stjörnudís nicht mehr von der Seite.

Aber nicht nur das, sie sorgte auch dafür, dass ihre Freundin Ruhe hatte. Damit kein weiteres Pferd aus der Herde in die Nähe „ihrer Dísa“ kam, biss sie alle anderen Stuten weg.

Lukka frá Víðihlíð

Als Stjörnudís sich schließlich mit Presswehen hinlegte, blieb Lukka mit angelegten Ohren bei ihr stehen und passte auf sie auf. Sie schnüffelte immer wieder an ihr und lief um sie herum, als wolle sie überprüfen, ob alles in Ordnung sei.

Zunächst kam die Geburt recht schnell voran, doch als das Fohlen die schwierigste Stelle, den Schulterbereich, erreicht hatte, geriet sie ins Stocken.

Auch Lukka schien diesen kritischen Moment zu spüren. Nachdem sie eine Weile abgewartet hatte, stellte sie sich plötzlich hinter dem Rücken von Stjörnudís, hob das linke Bein und klopfte vorsichtig auf den Bauch ihrer Freundin.

Sjonni frá Selfossi mit Mutter Stjörnudís frá Ægissíðu III

Wir hielten den Atem an und waren bereit schnell einzugreifen, aber wir entschieden uns dafür, das Geschehen noch ein wenig zu beobachten. 

Einen uns endlos erscheinenden Moment lang geschah nichts, das Fohlen schien im Geburtsweg festzustecken – eine fatale Situation! – Und Lukka reagierte erneut! Wieder erhob sie das Bein, legte es flach auf Stjörnudís Rumpf und zog es vorsichtig vor und zurück.

Es sah so aus, als würde sie den Bauch der Gebärenden massieren. Dann legte sie ihr Gewicht auf die Hinterbeine und drückte mit dem Huf gegen Stjörnudís´ Bauch.

Dies wiederholt sie einige Male – und plötzlich flutschte Sjonni aus dem Bauch seiner Mutter. Durch ein Wunder – oder durch Lukkas Geburtshilfe,  war alles zu einem guten Ende gekommen.

Wir waren zunächst wie erstarrt von dem unglaublichen Erlebnis, das wir gerade miterlebt hatten und das ich vielleicht nicht glauben würde, wenn ich nicht selbst dabei gewesen wäre. Dann bekam ich Angst, dass Lukka vielleicht versuchen würde Stjörnudís ihr Fohlen zu „stehlen“, aber nichts davon passierte.

Wir warteten, bis Sjonni aufgestanden war, getrunken hatte und auf seinen wackeligen Beinen herumstakste. Währenddessen blieb Lukka neben den beiden und passte auf, dass kein Pferd aus der Herde dem neuen Familienmitglied zu nahe kam.

Nach diesem Ereignis war Lukka nicht anders zu Sjonni als zu den anderen Herdenmitgliedern. Auch konnte ich nicht erkennen, dass sie getrauert hat, als Stjörnudís verkauft wurde und sie sich trennen mussten. Sie ist offensichtlich die geborene Hebamme!

Lukka ist ein ganz besonderes Pferd. Ich hatte viele besondere Momente mit diesem Pferd, aber das Geburtserlebnis war für mich das Aufregendste, was ich mit ihr erlebt habe.

Ich hing sehr an der Stute und es tat mir weh, dass ich sie nicht kaufen konnte, als ich ins Ausland gezogen bin. Leider habe ich sie auch hier in Österreich noch nicht besuchen können, aber sie steht immerhin nicht so weit weg von mir.

Ob sie mich wohl wiedererkennen würde oder ob sie vielleicht sauer auf mich ist, weil ich einfach aus ihrem Leben verschwand? Sie geht mir jedenfalls nicht aus dem Kopf!


Hekla Hattenberger Hermundsdóttir

IS2008255335 Lukka frá Víðihlíð

Geboren: 6. Juni 2008
Vater: Lykill frá Varmalandi
Vv.: Tígull frá Gýgjarhóli
Vm.: Síða frá Halldórsstöðum
Mutter: Drottning frá Uxahrygg
Mv.:
unbekannt
Mm.: Díla frá Uxahrygg –

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