Der Weg an die Spitze war keineswegs gradlinig, wie so mancher vielleicht vermutet. Unterwegs musste Vera viel lernen. Hier berichtet sie zum ersten Mal darüber in einem offenen und verblüffend selbstkritischen Rückblick.
Als Jugendliche deutsche Meisterin zu werden ist ein überwältigendes Erlebnis, erinnert sich Vera. Neben dem Erfolg, den man genießt, den Gratulationen und Ehrungen, macht sich in diesem Alter auch eine ganz bestimmte Stimmung breit:
Man meint, dass es immer so weiter geht, dass es keine Grenzen gibt. Frosti und mich konnte keiner mehr stoppen, davon war ich vollkommen überzeugt. Wie bitter ist es, wenn man realisieren muss, dass das nicht so ist.
Der Fall vom Podest ließ nicht lange auf sich warten. Frosti konnte seine Taktsicherheit im hohen Tempo nicht halten, geschweige denn steigern und ich musste realisieren, dass die Zeiten, wo wir bei Töltprüfungen um den Sieg kämpften, endgültig vorbei waren.
Ich war am Boden zerstört! Ich hatte doch so große Pläne und Frosti schien bis dahin genau der richtige Partner dafür zu sein. Was sollte ich tun? Ihn verkaufen? Meine Turnierambitionen mit ihm an den Nagel hängen und ihn nur noch freizeitmäßig reiten?
Dafür war ich doch aber gar nicht der Typ und ob es für Frosti das Richtige wäre, nur noch mit mir nach Feierabend ein Ründchen durchs Gelände zu drehen, davon war ich nicht überzeugt. Und dennoch, in dieser Situation war ich total verwirrt und wusste nicht, was richtig für uns beide war.
Ich muss zugeben, dass ich damals tatsächlich auch mit dem Gedanken gespielt habe ihn zu verkaufen. Deshalb habe ich während einer Prüfung auf einem Turnier sogar einmal durchsagen lassen, dass dieses Pferd zum Verkauf stünde. Es hat sich jedoch niemand gemeldet. Ich musste mir also etwas Neues einfallen lassen – was für ein Glück!
An Passreiten hatte ich bis dahin nicht gedacht, ich hatte es noch nie probiert und wusste deshalb auch gar nicht, wie es geht. Ich hatte ja schließlich einen Supertölter und damals herrschte noch die Meinung vor, dass Passreiten den Tölt kaputtmachen würde.
Doch was hatte ich zu verlieren?
Trotzdem fragte ich mich: Würde es funktionieren? Ich hatte keine Ahnung, und auch der erfolgreiche und bekannte Reiter Reynir Aðalsteinsson, den ich um Rat fragte, wusste es natürlich nicht, aber er hatte eine sehr einfache Antwort: Probier´s aus! – Und das tat ich.
Frosti und ich stürzten uns voller Elan in die gemeinsame Aufgabe das Passreiten zu erlernen. Wir hatten endlich wieder Spaß zusammen und ich spürte unter mir, wie Frosti es genoss, seine Freude am Tempo in einer neuen Gangart auszuprobieren. Vor allem aber spürte ich: Wir waren auf einem Weg, der für uns beide passte.
Schon 1983 kam die Bestätigung und wir wurden deutscher Vizemeister im 5-Gang. Als wir 1985 schließlich in Schweden Europameister in der Passprüfung wurden, hatten wir wieder zusammen ein ganz großes Ziel erreicht.
Die über uns hereinbrechende Medienaufmerksamkeit war auch der Tatsache geschuldet, dass ich die erste Frau und darüber hinaus der erste Nichtisländer mit diesem Titel war.
Ich habe diese Zeit sehr genossen, alles andere wäre gelogen. Vor allem die Anerkennung, die ich in meinem kleinen Heimatort erfahren habe, hat mich total gerührt. Das Fest, das man mir ausgerichtet hat, werde ich nie vergessen, auch nicht den Stolz, den ich in den Augen meiner Eltern gesehen habe.
In diesem Moment war ich vor allem glücklich, dass ich ihnen etwas zurückgeben konnte dafür, dass sie an mich geglaubt und mir diesen Weg ermöglicht hatten.
In den folgenden Jahren qualifizierten wir uns regelmäßig für die alle zwei Jahre ausgerichtete Weltmeisterschaft als einziger Rennpasser für Deutschland und erzielten dabei unterschiedliche Ergebnisse.
Wenn ich auf diese Zeit zurückblicke, muss ich mir eingestehen, dass es immer meine Schuld war, wenn wir uns nicht platzieren konnten, wie zum Beispiel bei der ersten Weltmeisterschaft in Weistrach in Österreich.
Der ganze Rummel um meine Person war nicht spurlos an mir vorbeigegangen und hat sich wohl auch auf meine Kommunikation mit Frosti ausgewirkt, im Klartext: Ich kam als Europameisterin und hatte die Nase ein bisschen weit oben – und bin prompt auf dieselbe gefallen!
Erst als ich 1989 in Dänemark wieder mit einer anderen Einstellung aufs Pferd stieg, waren wir wieder erfolgreich und wurden Weltmeister im Rennpass. 1993 starteten wir beide in unserem letzten großen Rennen in Holland und Frosti machte mich mit seinen 21 Jahren zur Vizeweltmeisterin – was für ein Abschiedsgeschenk!
Seine wohlverdiente Rente verbrachte er gemeinsam mit seinem alten Kumpel Fifi bei Karly Zingsheim auf dem Gestüt Forstwald auf einer Weide oberhalb der Passbahn.
Bei Turnieren standen die beiden bis zum Schluss am Hang und beobachteten das Geschehen auf der Bahn, als würden sie sich an gute alte Zeiten erinnern.
Jetzt habe ich euch so viel anvertraut, dass ich finde, es ist an der Zeit, zum Schluss noch ein Geheimnis zu lüften:
Frosti heißt gar nicht Frosti, sein wirklicher Name ist Feykir.
Wie das, fragt ihr euch?
Ganz einfach. Es gab ein Pferd bei uns mit diesem Namen, das ich nicht mochte, da konnte mein Traumpferd doch unmöglich auch so heißen!
Also benannte ich es kurzentschlossen um und das blieb bis zum heutigen Tag mein Geheimnis. Ein bisschen kompliziert wurde es zwar manchmal, als sich nach den ersten internationalen Erfolgen Pferdebesitzer aus Island meldeten, die stolz die Verwandtschaft ihrer Pferde zu Frosti verkündeten.
Denen konnte ich aber schlecht sagen, dass der Frosti, den sie meinten, nicht meiner sein konnte. Also blieb es einfach dabei.
Dieser Sache ist, warum auch immer, nie jemand ernsthaft nachgegangen, und deshalb bleibt mein Traumpferd nun wohl allen unter dem Namen „Frosti“ in Erinnerung.